Das Dorf des Vergessens – ein Vorbild für Deutschland

Jeder Mensch schreibt im Laufe des Lebens seine ganz persönliche und einzigartige Geschichte. Doch wenn die Erinnerungen an das Erlebte verblassen und immer undeutlicher werden, geht es einem selbst wie ca. 1,5 Millionen Menschen – allein in Deutschland.  Die Erfahrungen, die Erlebnisse, all die besonderen Ereignisse, die man dachte nie zu vergessen, verschwinden nach und nach. Und man selbst kann nur hilflos zusehen.

Demenz ist eine Krankheit, die von Tag zu Tag präsenter wird, mit der wir hier zu Lande aber immer noch sehr stiefmütterlich umgehen. Gelingt Medizinern kein Durchbruch in Prävention und Therapie, könnte sich die Zahl bis 2050 auf etwa 3 Millionen Demenzkranke erhöhen.

Der Umgang mit Demenzkranken ist nicht einfach. Viele sind körperlich noch relativ fit und werden pflegebedürftig, weil Sie aufgrund des Vergessens ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen können. Sie leben immer nur im Hier und Jetzt und müssen sich von einem Moment auf den anderen komplett neu orientieren. Das erfordert von den pflegenden Personen viel Geduld. Diese Menschen sind zwar alt, verhalten sich aber oft wie Kinder.

Wie gehen wir in Deutschland bislang mit Demenzkranken um?

Demenzkranke werden in vielen Einrichtungen mit körperlich Pflegebedürftigen fast gleich gesetzt. Sobald die Pflege in den eigenen 4 Wänden oder in denen der Angehörigen nicht mehr möglich ist, werden die Patienten in einem Pflegeheim untergebracht. Viele Häuser haben sich bereits auf demenzerkrankte Menschen spezialisiert – doch den Durchbruch gab es auch hier bislang noch nicht. Viele Demenzkranke fühlen sich nicht wohl, unverstanden und sogar eingesperrt.

Hinzu kommt, dass ein Großteil der Pflegekräfte zu viel arbeitet und zu schlecht bezahlt wird. Und selbst die Menge an Zeit, die sie aufbringen, reicht nicht aus, um allen Pflegebedürftigen gerecht zu werden.

Ein eigener Ort für Demenz-Patienten als mögliche Lösung

Ziel sollte es sein, jedem Menschen einen würdigen Lebensabend bereiten zu können. Um das zu erreichen, wurden in den Niederlanden nahe Amsterdam das Demenz-Dorf „De Hogeweyk“ errichtet. Die Idee entstand, als sich Mitarbeiter des ehemaligen Altenheims selbst fragten, ob sie ihre Eltern in diese Einrichtung geben würden. Da die Antwort „Nein“ lautete, wurde das Haus abgerissen und durch die Siedlung ersetzt.

Heute leben hier über 150 demente Menschen und sie scheinen zufrieden zu sein. Sie leben in WGs zusammen – insgesamt gibt es 23 Häuser. Außer Zierzäunen sucht man hier lange nach offensichtlichen Begrenzungen. Die Häuser sind so angeordnet, dass sie das Gelände umsäumen. So können sich die Bewohner frei bewegen. Es gibt einen Frisör, ein Café, ein Lebensmittelgeschäft und auch sonst alles, was man zum Leben und zum Zeitvertreib braucht. Das Dorf gleicht eher einem Ferienort, als einem Pflegeheim. Es bietet eine schützende Hülle, doch durch die Größe des Geländes stoßen die Bewohner nicht an dessen Grenzen.

Sieben Lebensstile – unterschiedlich wie die Menschen selbst

So individuell, wie die bisherigen Lebensstile der Bewohner waren, sind auch die Häuser in „De Hogeweyk“ eingerichtet. Sieben verschiedene gibt es: Handwerker, häuslich, Upperclass, religiös, Künstler, Urbane und einen für die Indonesier, die aus der ehemaligen Kolonie eingewandert und in den Niederlanden alt geworden sind. Durch einen Fragebogen wird der bisherige Lebensstil ermittelt und die Bewohner zugeordnet.

In den Häusern scheint die Zeit stehen geblieben zu sein

Von der alten, laut tickenden Wanduhr bishin zu den mit Blümchen gemusterten Tapeten ist in der häuslichen WG alles so eingerichtet, wie es die Bewohner aus früheren Zeiten gewohnt sind. Die Handwerker-WG wirkt eher rustikal und in der Upperclass erkennt man genau, dass die Bewohner etwas wohlhabender waren oder es noch immer sind.

So wird niemand in ein Raster gezwängt, das seinem „Leben vor dem Vergessen“ nicht entspricht. Die Menschen, die hier zusammenleben, müssen sich Tag für Tag neu kennenlernen. Wenige Augenblicke später haben sie schon wieder vergessen, wer der Gegenüber ist. Doch wenn sich diese Menschen an etwas erinnern, ist es etwas aus längst vergangenen Tagen. Die Eichrichtung in den Häusern passt deshalb zu den Bildfetzen, die ab und zu in den Gedanken aufflackern.

Marjolein de Visser, die vor ihrer Anstellung in „De Hogeweyk“ in herkömmlichen Heimen arbeitete, lobt das Projekt. „Die Leute sind glücklicher hier, weniger ruhelos“, berichtet sie.  „Jeder ist sich selbst.“ De Visser weiter: „Im Vergleich zu früher müssen wir deutlich weniger beruhigende Medikamente geben.“ Aufgrund der Wohlfühl-Atmosphäre gäbe es weniger Aggressionen.

Keine strikten Regeln

In „De Hogeweyk“ ist es normal, dass man Leuten begegnet, die im tiefsten Winter in Schlafanzug und Hausschuhen durch die Gegend spazieren. Im Sommer hingegen tragen sie oft mehrere Mäntel übereinander.

Nicht selten wird hier auch die Nacht zum Tag gemacht. Bei einem Gläschen Wein lässt es sich ja bekanntermaßen gut plauschen. Wenn das Frühstück dann am nächsten Morgen ans Bett serviert werden muss, ist den Nachtschwärmern keiner böse. Denn hier wird niemand wie ein ungezogenes Kind behandelt. Die Freiheit und der täglich wiederkehrende Prozess des persönlichen Entfaltens ist hier das höchste Gut.

Die Schweiz errichtet eigenes Demenzdorf

Im schweizerischen Wiedlisbach im wird auf dem Gelände eines bestehenden Pflegeheims ein „Dorf für Menschen mit Demenz“ geplant. Der Gemeindeverband hat diesem Projekt bereits zugestimmt. „Vorerst planen wir ein Dorf für rund 100 Frauen und Männer, später könnten es zwei- bis dreihundert sein“, so Geschäftsführer Markus Vögtlin.

Auch Deutschland plant bereits

In Alzey soll das erste deutsche Demenzdorf entstehen. In dem “Stadtquartier für Menschen mit Demenz” werden voraussichtlich 120 demente Menschen leben. 12 000 Quadratmeter groß ist das Areal im Nordwesten der 17 600 Einwohner-Stadt. Die Bewohner sollen hier in 10er Gruppen zusammenleben. Auch hier soll es Geschäfte, Ärzte und sogar eine Pension geben. Doch der große Unterschied zum Vorbild aus Holland wird sein, dass die Einrichtung für die ambulante Versorgung genutzt werden soll.

Gründe dafür liegen in der Politik. „Ambulantisiert machen wir das deswegen, weil es der ausdrückliche Wunsch in Rheinland-Pfalz ist, keine weiteren stationären Pflegeeinrichtungen mehr zu bauen“, sagte Projektentwickler Jan Bennewitz vom saarländischen Büro Bennewitz & Georgi.

Abzuwarten ist, wie das Projekt letztendlich umgesetzt wird und ob es all die Vorteile des niederländischen Vorbildes zeigen wird.

Finanzierung der Pflege in einem „Demenzdorf“

In den Niederlanden kostet ein Platz in „De Hogeweyk“ 5.000 EUR, finanziert wird dies durch die staatliche Pflegeversicherung. In Deutschland werden die Kosten vermutlich durch die Ambulantisierung etwas geringer ausfallen.

Der maximale Betrag, den die deutsche gesetzliche Pflegeversicherung zahlt, beträgt gerade einmal 1.550 EUR. Dieser Betrag wird wahrscheinlich nicht annähernd ausreichend, um die Pflege im „Stadtquartier für Menschen mit Demenz“ zu finanzieren. Somit müssten die Pflegebedürftigen selbst oder deren Angehörige die bleibenden Kosten tragen. Um das zu vermeiden, sollten Sie rechtzeitig www.versicherung-vergleiche.de/pflegezusatzversicherung/index.php abschließen.